Paranoide AfD-Phobie

Sehr geehrter Herr von Altenbockum,

ich hatte Ihnen schon vor einigen Wochen geschrieben. Ich bin nicht so vermessen, um für jedes meiner Schreiben eine Antwort zu erwarten. Sie bekommen vermutlich wöchentlich hunderte von Briefen.

Ich mache aus meiner Anhängerschaft für die AfD keinen Hehl.  Es wäre mir indessen lieber gewesen, wenn es nie einen Anlass gegeben hätte, die AfD aus der Taufe zu heben. Nun ist sie da und tatsächlich ist sie heute notwendiger denn je.

Gestatten Sie mir einige Anmerkungen, die sich bei mir angesammelt haben. Über Höcke hatten wir uns bereits ausgetauscht. Die Partei ist nicht Höcke und Höcke ist nicht die Partei. Seine apokalyptischen Zukunftsvisionen  (die wohltemperierten Grausamkeiten), die Sie als Aufruf für „ethnische Säuberungen“ deuteten,  werden hoffentlich niemals wahr.  Sollten solche Szenarien tatsächlich europäische Wirklichkeit werden, so wäre  wohl Frankreich als erstes betroffen. Siehe den lesenswerten und ausführlichen  Artikel in Ihrem Blatt am 29. Januar über den sich ausbreitenden Herrschaftsanspruch der Salafisten in den Banlieues.

Am 14. Dezember schrieb Berthold Kohler über den „Jubel der AfD“ bezogen auf den EU-Austritts Großbritanniens. Das ist natürlich meilenweit daneben. Das Ausscheiden der Briten ist für uns Deutsche alles andere als ein Grund zum Jubel. Denn wer wird wohl die künftig fehlenden Beiträge des bisherigen Nettozahlers im EU-Haushalt ausgleichen müssen?   Richtig, der deutsche Michel. Und der hat künftig im Kreis der verbliebenen Staaten noch weniger Chancen als zuvor. Denn mit dem Ausscheiden der Briten verliert die seriös wirtschaftende Gruppe der Nordländer in der EU ein wichtiges Glied zur Abwehr der Begehrlichkeiten jener EU-Mitglieder, die es mit der Haushaltsdisziplin nicht so richtig ernst nehmen.

Am 28. Januar führten Sie ein Interview mit Herrn Haldenwang, der das Gespräch entgegen seinen bisherigen Gewohnheiten erstaunlich ausgewogen führte. Ihre letzte Frage unterhielt eine Unterstellung, die ich als glatte Frechheit wahrgenommen habe: „ .. was der AfD nicht gelingen will, nämlich sich vom Extremismus völlig zu trennen“. Mit Verlaub: Wer fackelt PKWs zu Hunderten ab, schmeißt Steine auf Polizisten, brandschatzt und plündert wie bei G20, EZB und Hambacher Forst, wirft Fäkalien und Chemietoiletten auf Ordnungskräfte, wehrt sich gegen Vermummungsgebot? Die Aufzählung ist längst nicht vollständig. Waren das Linke oder Rechte „Aktivist*Innen“? Nebenbei bemerkt: Die Plattform linksunten.indymedia wurde jahrelang von den Behörden geduldet. Erst kurz vor der letzten Bundestagswahl bequemte sich der Innenminister Wolfgang Schäuble (Schande für Deutschland) zum Einschreiten. Hier gab es nicht nur eine Komplizenschaft der parlamentarischen Linken mit den Extremisten, sondern sogar eine offen gelebte wohlwollende Duldung seitens der Regierungsparteien.

Nürnberger   Christkind: Das war auch  wieder so eine Steilvorlage, die gerne angenommen wurde. Da verzapft irgendjemand  einer aus der fünften Reihe eines ländlichen AfD- Kreisverbandes einen schlechten Witz und prompt landet das in der FAZ auf der ersten Seite. Eigentlich hätten Sie sich in dem Zusammenhang an den alten CDU-Spruch erinnern sollen: „Kinder statt Inder“. Das gab damals eine  Welle der Empörung.  Der Reim kam damals allerdings nicht von einem Hinterbänkler, sondern von einem leibhaftigen späteren CDU-Ministerpräsidenten. Pars pro toto? Rassismus bei der CDU? Wie wäre es denn mit den Generalverdacht der Pädophilie bei SPD-Genossen? Immerhin hat sich ein prominenter Sebastian verbotenes Bildmaterial von nackten Knaben aus dem Netz geladen und lustvoll betrachtet.  Und die Männer Hartmann und Oppermann halfen bei rechtzeitiger Vertuschung. Eben Männerfreundschaften. Bei den Genossen.

Solingen und Notre-Dame: Das gleiche Phänomen. Da bringt tippt ein unterbelichteter Seitenbetreiber eines Kreisverbandes in der hintersten Provinz einen dümmlichen Kommentar zu einer vermuteten Brandursache in Facebook ein, und schon nimmt sich das ein leibhaftiger FAZ Herausgeber zum Anlass für einen kräftigen Rundumschlag mit der ganz großen Keule. Natürlich auch auf Seite Eins.

Warum ich das schreibe: Ich bin seit fast einem halben Jahrhundert treuer Leser der FAZ. 1970 nahm ich die ersten Freiexemplare in unserer Mensa zur Hand.  Meine ersten Anstellungen nach der Universität  verdanke ich Eigeninseraten und Stellenanzeigen in der FAZ.  Inzwischen zahle ich für das Abo von FAZ/FAS, FAZ+ und Archiv etwa tausend Euro jährlich. Verständlicherweise liegt mir die Qualität dieses vertrauten Blattes durchaus am Herzen und es schmerzt mich, wenn ich höre, daß Ihr Verlag auch im letzten Jahr wieder mit einem Millionenfehlbetrag abgeschlossen hat. Allerdings kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die FAZ-Redakteure oftmals gegen die eigene Leserschaft anschreiben. Diesen Eindruck muß man gewinnen, wenn man die Gewichtungen der Leserkommentare im Online-Bereich  unter die Lupe nimmt.  Sofern bei gewissen Artikeln auf FAZ+ überhaupt Leserkommentare zugelassen sind. Z.B. waren  bei Markus Wehners Aufmacher: „Falsche Freunde – Antisemitische Äußerungen gibt es häufig in der AfD“ vom 29.1. keine Kommentare mehr erlaubt. Sie wussten schon warum.

Nichts für ungut, mit freundlichen Grüßen