Wollt Ihr den totalen Krieg?

Vor genau achtzig Jahren, am 18. März 1943, hielt der Minister für „Volksaufklärung und Propaganda“, Joseph Goebbels, im Berliner Sportpalast vor ausgewählten Parteigenossen seine berüchtigtste Rede  „Wollt Ihr den totalen Krieg?“ Die Antwort: Ein frenetisch aufbrausender, langanhaltender Jubel der fanatisierten Menge.totaler Krieg

Vor wenigen Tagen, am 17. März 2023, ging es bei einer Karnevalssitzung  im vollbesetzten Saal des Mainzer Schlosses vor prominenten Gästen auch um Krieg. Ein Komödiant hatte das Wort, der schon frühzeitig und eindringlich die weitere Eskalation des Krieges in der Ukraine gefordert hatte. Und wieder klatschte die Menge dem Redner begeistert stehenden Applaus. Unwillkürlich fühlte ich mich an das Sportpalastspektakel  von 1943 erinnert. Der Film dazu wurde tausendfach  in der tönenden Wochenschau, die damals jedem Kinofilm voranging, abgespielt. „Mainz bleibt Mainz“ hingegen wurde vor wenigen Tagen einem  Millionenpublikum vor den Fernsehapparaten serviert. Goebbels

Berlin 1943 und Mainz 2023; ein absurder Vergleich? Leider nein. Damals wie heute waren die Beifallklatscher ein handverlesenes Publikum. Anno 1943 strömten verdiente Parteibonzen der NSDAP in den Sportpalast; die Stützen des faschistischen Regimes. Im Mainzer Schloss hingegen fand sich in den vordersten Reihen die versammelte tonangebende Politprominenz der Altparteien; auf den hinteren Rängen das gutsituierte Bürgertum; darunter viele hochrangige Staatsdiener, die Stützen dieser Republik. Den Eintritt, den Verzehr und die Kostümierung musste man sich schon leisten können. Nichts für am Rande des Existenzminimums vegetierende Rentner und Geringverdiener, denen  die ständig weiter steigenden Preise das Leben schwer machen. Auch niemand, der am Rande einer der inzwischen berüchtigten Problemzonen deutscher Städte sein Dasein fristen muss. Diese Bürger haben ihre eigene Sicht auf „Das Land, in dem wir gut und gerne leben“.  Die findet man nicht in hochpreisigen Veranstaltungen; die müssen draußen bleiben.  Wohlstand für alle? Das war einmal.  Hingegen tönte Redner Reichow im Mainzer Schloss vor seinen Claqueuren: „Überlegt mal, wie gut es uns geht!!“ und heimste dafür noch Beifall ein.

ReichowOhren
Screenshot ARD

Es gehört ein ordentliches Stück demagogische Verführungskunst dazu, seine Anhänger so zu konditionieren, dass sie wie im Rausch dem Redner auch beim größten Blödsinn folgen. Bei Mainz war der Boden gut  vorbereitet: Angeheitert durch ein stundenlanges Stakkato seichter Witze, hüpfenden Tanzmariechen und reichlich alkoholischen Getränken auf den Tischen waren die Zuhörer willig für weitere Einläufe. Und Reichow lieferte. Hören wir Reichow, wie er schon früher schwadronierte:

Der Krieg wird nicht entschieden im Schweigekloster von Olaf Scholz … Ein schwacher Kanzler  … volle Unterstützung für den Sieg, auch wenn uns das einen langen und harten Winter kostet!!

Nein, ich bin weit davon entfernt, das damalige NS-Regime mit dem heutigen politischen System der Bundesrepublik gleichzusetzen. Aber es ist erschreckend, wie leichtfertig damals wie heute einer sich weiter drehenden  Gewaltspirale das Wort geredet wird. „Der Endsieg ist unser“, so posaunten die Nazi-Propagandisten. –  Dabei herrscht heute kein Mangel an Stimmen der Vernunft: Allen voran der hochbetagte, geistig immer noch glasklare Elder-Statesman der USA, der ehemalige Außenminister und Friedensnobelpreisträger Henry Kissinger; Architekt der Annäherung zwischen den USA und China und Autor des ägyptisch-israelischen Friedensvertrages. Sein Statement kann man hier nachlesen: https://www.handelsblatt.com/politik/international/weltwirtschaftsforum-davos-henry-kissinger-skizziert-friedensplan-fuer-ukraine/28929192.html Ebenfalls lesenswert: Das Friedensmanifest von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer. Dazu das Salz in der Suppe liefern die Überlegungen des Philosophen Richard David Precht über die gleichgeschaltete Medienlandschaft. „Die vierte Gewalt – Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist“, so lautet der vielsagende Titel seines jüngsten Buches.   

Last, but not least: Die Friedensinitiative der AfD.  Nicht zuletzt deswegen wurden deren parlamentarische Vertreter in Mainz  von dem Hetzer auf ekelhafteste Weise als „Ungehobelte A…löcher“ beschimpft.  Besonders anwidernd: Der donnernde Applaus der versammelten Politprominenz. Der Sportpalast lässt grüßen.

Nachlese zu Silvesternächten: 2015/2022

Einige meiner „Fans“ hatten den letzten Satz in meinem Facebook-Post zum Jahreswechsel https://www.facebook.com/AfD.Ratingen/posts/712896247180369 in den falschen Hals bekommen. Hatte ich doch da geschrieben: „Ich bin gespannt auf den morgigen Kölner Polizeibericht.“  Das hatte seinen Grund. Denn der Kölner Polizeibericht vom Neujahrsmorgen 2016 genießt zeitlosen Kultstatus. Und weil er so schön war, hier nochmal zum Nachlesen:

POL-K: 160101-1-K/LEV Ausgelassene Stimmung – Feiern weitgehend friedlich

01.01.2016 – 08:57     Köln (ots) – Die Polizei Köln zieht Bilanz

Wie im Vorjahr verliefen die meisten Silvesterfeierlichkeiten auf den Rheinbrücken, in der Kölner Innenstadt und in Leverkusen friedlich. Die Polizisten schritten hauptsächlich bei Körperverletzungsdelikten und Ruhestörungen ein….Kurz vor Mitternacht musste der Bahnhofsvorplatz im Bereich des Treppenaufgangs zum Dom durch Uniformierte geräumt werden. Um eine Massenpanik durch Zünden von pyrotechnischer Munition bei den circa 1000 Feiernden zu verhindern, begannen die Beamten kurzfristig die Platzfläche zu räumen. Trotz der ungeplanten Feierpause gestaltete sich die Einsatzlage entspannt – auch weil die Polizei sich an neuralgischen Orten gut aufgestellt und präsent zeigte. (st)

Für mich ist das auch heute immer noch die Nummer Eins schlechthin. „Lügen haben kurze Beine“, so lautet ein altes Sprichwort. Zwar hatte die NRW-Polizei einen Maulkorb bekommen, nicht aber die Bundespolizei auf den Bahnhöfen. Nach einer Woche wurde die Geschichte durch die Bild-Zeitung publik: https://briefe-von-bernd.blog/2017/04/24/kolner-polizeibericht-der-hit-bei-fake-news/  Seitdem gibt es eine neue Vokabel im Sprachgebrauch: „Nafris“. Steht zwar noch nicht im Duden, aber jeder weiß was und wer gemeint ist.

Wie wir inzwischen wissen, hatte es auch die letzte Silvesternacht in sich. Zwar ließen sich Frauen an den neuralgischen Plätzen nicht mehr blicken; folglich gab es auch nicht die massenhaften sexuellen Übergriffe.  Trotz massiver polizeilicher Präsenz oder möglicherweise gerade deswegen ließen es „erlebnisorientierte Partygäste“ aber vielerorts kräftig krachen.  Als „gruppendynamische Prozesse“ wurden die exzessiven Gewaltausbrüche von den einschlägigen Medien schamhaft bemäntelt. Noch am zweiten Januar war man sich durchweg einig: Die Böller sind schuld. Die gehören verboten. Also in Zukunft kein Feuerwerk mehr.  Eine bestechende Logik. Als ob man Parksünder damit bekämpft indem man die Autos verbietet. Erst in den darauffolgenden Tagen dämmerte es so langsam den Meinungsmachern, dass Ihnen das ansonsten hörige Publikum nicht gewillt ist, auf diesem kruden Pfad zu folgen.

Inzwischen sind vier Wochen vergangen. Klimakleber, Lützerath und deutsche Panzer sind die aktuellen Themen.  Nur noch drei Monate zu den berüchtigten Berliner Maifeierlichkeiten und weitere acht Monate bis zur nächsten Silvesternacht. Unsere Polizisten betteln inzwischen um Mitleid: „Wir sind doch auch Menschen“: https://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/jg_auch-mensch-2-0

Das ist das Land, in dem wir gut und gerne leben.