Madagaskar stört

Das hat auch Correctiv erkannt und die entsprechende Passage in einer späteren Version aus dem „Geheimkonferenz-Papier“ gestrichen. Zwar war auf dem im November 2013 abgehaltenen privaten Treffen verschiedener Teilnehmer des konservativen Spektrum in Potsdam, von Politik und willfährigen Medien zur Wannseekonferenz 2.0 hochstilisiert, nie von Madagaskar die Rede gewesen. Aber Correctiv konnte es sich nicht verkneifen, „Deportationen nach Madagaskar“ hinzuzudichten. Hier der ursprüngliche Correctiv-Text:

Eine Idee ist dabei auch ein „Musterstaat“ in Nordafrika. Sellner erklärt, in solch einem Gebiet könnten bis zu zwei Millionen Menschen leben. Dann habe man einen Ort, wo man Leute „hinbewegen“ könne. Dort gebe es die Möglichkeit für Ausbildungen und Sport. Und alle, die sich für Geflüchtete einsetzten, könnten auch dorthin. Was Sellner entwirft, erinnert an eine alte Idee: 1940 planten die Nationalsozialisten, vier Millionen Juden auf die Insel Madagaskar zu deportieren.  

Correctiv zitiert hier, angeblich aus dem Gedächtnis, aus einem Referat des Identitären Martin Sellner.

Nun gibt es längst aktuelle konkrete Beispiele, wie demokratische Länder Einreisewillige bzw. illegale Migranten außer Landes verbringen: Die Drittstaatenlösung. Entsprechende Abkommen gibt es zwischen Australien mit Kambodscha und Polynesischen Inselstaaten; Italien hat eine Vereinbarung  mit Albanien geschlossen und die britische Regierung hatte eine entsprechende Übereinkunft mit Ruanda bereits fertig ausgehandelt, als die EU-Gerichte dazwischen funkten. In diesen Drittstaaten sollte das Einreisegesuch bzw. die Asylberechtigung von Immigranten nach den Gesetzen des erwünschten Ziellandes geprüft werden. Aber diese naheliegende Parallele war nicht nach dem Geschmack von Correctiv. Vielmehr sollte auf Teufel komm raus irgendeine Beziehung zum Nationalsozialismus konstruiert werden. Und da kamen die Influencer von Correctiv auf Madagaskar.

Tatsächlich schmiedete das NS-Regime kurzzeitig Pläne, die in seinem Herrschaftsbereich befindlichen Juden nach Madagaskar abzuschieben. Betrachteten doch die Rasse-Fanatiker die Juden als unerwünschte störende Elemente, deren man sich entledigen wollte. 1940 hatte Frankreich mit  seinen Überseebesitzungen einschließlich Madagaskars kapituliert; eine Ansiedlung von Juden in dem entlegenen Weltwinkel war damit denkbar. Allerdings: Britannien hatte die Seeherrschaft und ohne einen Frieden mit England, wie auch immer, war der Plan undurchführbar. Die ganze Geschichte ist bei Wiki detailliert nachlesbar: https://de.wikipedia.org/wiki/Madagaskarplan. Wir kennen den bösen Ausgang der Historie: Die NS-Herrschaft beschloss Anfang 1942 die „Endlösung der Judenfrage“ auf mörderische Art.

Die Erzählung vom Madagaskarplan war den deutschen Geschichtsschreibern der letzten Jahrzehnte von jeher ein Dorn im Auge. Lautet doch der offiziell bestellte Narrativ, dass Hitler und seine Gefolgschaft von jeher für jedermann und von Beginn an ganz offensichtlich planten, die jüdische Bevölkerung auszurotten. Diese Deutung der Geschichte ist essentiell, um den Deutschen in ihrer Gesamtheit als Mitwisser und Befürworter des Holocaust Verantwortung und Schuld zuweisen zu können. Die tatsächliche Existenz des Madagaskarplans als die mildere Form der „Endlösung“ passt da nicht in Konzept.

Erstaunlich, dass dieser Aspekt des Correctiv-Konvolutes nicht von Medien und Öffentlichkeit thematisiert wurde. Bevor es nun soweit hätte kommen könnte hat Correctiv zwischenzeitlich selbst die Reißleine gezogen und den obigen Abschnitt komplett gestrichen. Inzwischen ist der ursprüngliche allerdings Text wieder lesbar.  Es ist die übrigens die einzige Stelle im Correctiv-Papier, wo dessen Macher sich über „Deportationen“ ergehen.

Apropos Madagaskar: Vor einhundert Jahren hatte diese Insel, die größer ist als Deutschland, die Schweiz und Österreich zusammen, gerade mal dreieinhalb Millionen Einwohner. Heute sind es über dreißig.  An diesen Zahlen, die repräsentativ sind auch für das übrige Afrika, offenbart sich das ganze Dilemma dieses Kontinents. Kein Thema für den öffentlichen Diskurs.

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Autor: hansberndulrich

born 1950, university degree in mathematics, physics. Interested in all topics of natural science, history, politics and economics

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